28.04.2024 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Inhaltsangabe des Verlags Nie war die Kleinkunst so lebendig wie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Nach dem Ersten Weltkrieg stürzte man sich in Berlin und anderswo in den Vergnügungstaumel. Satire darf – nach Kurt Tucholsky – alles, und auch das Kabarett durfte es in der Weimarer Republik: kritisch sein, schwarz, beißend, komisch, leicht und heiter, elegisch ... Die Bühnen hießen »Schall und Rauch«, »Größenwahn« und »Wilde Bühne«. Man schrieb von Schiebern, Revoluzzern, blonden Damen und der Marie aus der Haller-Revue. Der Bogen spannte sich vom politischen Kabarett bis zur Revue (mit den berühmten »Girls«). Inhalt: 1. Erich von Wolzogen spricht »Das Philisterparadies« ca. 1904 [Entstehungszeit: 1901] 2. Alles weg'n de Leut’. Otto Reutter, ca. 1909 Text/Musik: Otto Reutter 3. Fritz Grünbaum conferiert, 3.11.1931 [Entstehungszeit: 1908/9] 4. Einbruch bei Tante Klara. Claire Waldoff, 27.10.1930 [Entstehungszeit: 1916] Text: Hans Hyan. Musik: Käthe Hyan 5. Kurt Schwitters liest An Anna Blume, 5.5.1932 [Entstehungszeit: 1919] 6. Walter Mehring liest »Heimat Berlin« (Berliner Tempo 1919) 7. Das Currendemädchen. Blandine Ebinger, 10.7.1926 [Entstehungszeit: 1921] Text/Musik, am Klavier: Friedrich Hollaender 8. An die Berlinerin. Paul Graetz, 22.6.1932 [Entstehungszeit: 1922] Text: Kurt Tucholsky. Musik: Hans Bund. Orchester unter der Leitung von Hans Bund 9. Joachim Ringelnatz liest »Das Turngedicht zum Wegräumen der Geräte«, 1924 10. Raus mit den Männern aus dem Reichstag. Claire Waldoff, 29.6.1926 Text/Musik: Friedrich Hollaender 11. Hoppla, wir leben. Ernst Toller in dem Ausschnitt »Karl Thomas spricht zu den Kindern«, ca. 1930 [Entstehungszeit: 1927] 12. Kaddisch. Paul O'Montis, 26.6.1928 Text: Kurt Robitschek. Musik: Otto Stransky. Am Klavier: Ralph Erwin 13. Karl Kraus singt »Das Schoberlied«, 24.3.1930 [Entstehungszeit: 1928] 14. Lene Levi. Kate Kühl, 1928 Text: Alfred Lichtenstein. Musik, am Klavier: Friedrich Hollaender 15. Sex Appeal. Margo Lion Text: Marcellus Schiffer. Musik: Friedrich Hollaender 16. Die kleine Stadt. Trude Hesterberg, 13.11.1928 Text: Walter Mehring. Musik: Werner Richard Heymann. Am Klavier: Franz Wachsmann 17. Ich weiß, das ist nicht so. Willy Prager, 2.6.1928 Text: Marcellus Schiffer. Musik; am Klavier: Mischa Spoliansky 18. Loblied auf Italien. Trude Hesterberg, 13.11.1928 Text: Arthur Rebner. Musik: Willy Engel-Berger. Am Klavier: Franz Wachsmann 19. Die Großstadtinfanterie. Kurt Gerron, März 1930 Text: Friedrich Hollaender. Musik, am Klavier: Rudolf Nelson 20. Der Rote Wedding. Der Rote Wedding, 1929 Text: Erich Weinert. Musik: Hanns Eisler 21. Der Gesang der Latscher. Erich Weinert, 1930 Text/Musik und Laute: Erich Weinert 22. Erich Kästner liest »Kennst du das Land, wo die Kanonen blühen?«, 1930 23. Die Ballade vom Nigger Jim. Ernst Busch, 1931 Text: David Weber. Musik: Hanns Eisler. Orchester unter der Leitung von Hanns Eisler 24. Die Ballade vom Soldaten. Ernst Busch, 26.10.1932 Text: Bertolt Brecht. Musik: Hanns Eisler. Orchester unter der Leitung von Hanns Eisler 25. Der Song von den brennenden Zeitfragen. Die vier Nachrichter, 13.5.1932 Text/Musik: Die vier Nachrichter 26. Mascha Kaléko liest »Langschläfers Morgenlied« 27. Wenn ich zwei Vöglein wär. Die 3 Katakomben Jungens, 1933 Text: Joachim Ringelnatz. Musik, am Klavier: Edmund Nick 28. Es weht ein frischer Wind. Katakomben-Ensemble, Ende April 1933 Text: Werner Finck • Musik: trad.
Unsere Rezension Die ersten dreißig Jahre des 20. Jahrhunderts stehen für große Veränderungen und Fortschritte, für unsichere Zeiten durch den ersten Weltkrieg und die Inflation, für den aufkeimenden Nationalsozialismus, aber auch für ein lockeres, nach außen hin unkompliziertes Leben in den verrückten 20er Jahren. Hier entstanden die Gassenhauer, die auch heute noch jeder kennt, vom "kleinen grünen Kaktus" bis zur badenden Fräulein Helen. Und es war die erste Blütezeit der sogenannten "Kleinkunst". Das Kabarett und das Cabaret der damaligen Zeit hatten sich langsam aus dem Varieté herausgebildet und waren zu festen Institutionen geworden – man setzte sich in Salons, lauschte den Vorträgen, Gedichten, Geschichten und Liedern und ließ sich zum Lachen oder zum Grübeln bringen. Und dann gab es da dieses faszinierende neue Medium – der Phonograph und später das Grammophon traten ihren Siegeszug an. Leute wie der Vortragskünstler Otto Reutter profitierten bereits früh davon, dass sie ihre lustigen oder satirischen Lieder nun auch auf Tonträger unters Volk bringen konnten. Einen Teil der alten Aufnahmen zog man nun heran, um ein Portrait des blühenden und des todgeweihten Kabaretts zu zeichnen, denn unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 war die Kleinkunst verboten und die meisten Mitwirkenden zu Verfolgten erklärt worden. Es ist faszinierend, was man alles aus den Tiefen der Archive ans Tageslicht befördert hat. Nicht nur um die "altbekannten" Namen wie Otto Reutter, Paul O‘Montis oder Claire Waldoff, von denen bereits seit Jahr und Tag CD-Aufnahmen kursieren, hat man sich gekümmert, sondern auch um Original-Tondokumente von Erich Kästner, Karl Kraus, Kurt Schwitters oder Joachim Ringelnatz. Hinzu kommen Lieder und Texte von längst vergessenen Stars wie Paul Graetz, Fritz Grünbaum oder Ernst Busch. Wie bereits die Auswahl der Namen erkennen lässt, ging man bei Patmos sogar noch einige Schritte weiter und stellte die lustigen Sachen Seite an Seite mit bedrückenden Stücken und düsteren Visionen, die besonders dann nachdenklich stimmen, wenn man weiß, was in den nachfolgenden Jahren geschehen und welche Ausmaße der Krieg annehmen sollte. Selbstverständlich gibt es in den Gedichten, Texten und Liedern einzelne Stellen, die sich auf aktuelle Dinge bezogen und die heutzutage ohne Hintergrundwissen nicht mehr nachvollziehbar sind. Glücklicherweise hat man bei Patmos auch daran gedacht. Das 16seitige Booklet lässt in dieser Hinsicht keine Wünsche offen – soweit möglich, hat man zu jedem Stück die Verfasser aufgelistet, das Entstehungsdatum und sogar das Aufnahmedatum. Dazu kommen einige Fußnoten, in denen Informationen zu den einzelnen Beiträgen geliefert werden, so dass man die zeitlich gebundenen Anspielungen auch versteht. Und schließlich existiert sogar eine Liste, in der die Künstler der CD mit Kurzbiographien vorgestellt werden; diese umfaßt nicht nur die Interpreten, sondern auch die Texter und Komponisten sowie Kabarettbühnen und eine kurze zeitliche Abhandlung über die Geschichte des Kabaretts zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Einfach vorbildlich. Dieses Hörbuchist ein Muß für alle, die sich für die Entwicklung des Kabaretts oder das Leben zu Beginn des letzten Jahrhunderts interessieren. Einzige Bedingung – man sollte nicht allzu hohe akustische Ansprüche stellen, denn obwohl die Tonaufnahmen anständig überarbeitet wurden, ist die Qualität selbstverständlich nicht mit den heutigen Standards vergleichbar. (© echthoerbuch.de 26.04.2019) |
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